Geschichte des Gesundheitsamtes
Downloadverzeichnis "Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus" (Dr. Johannes Donhauser, 2007)
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Das Gesundheitsamt vom Nationalsozialismus bis heute
Das Gesundheitsamt vom Nationalsozialismus bis heute
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) entstand in der Zeit des Nationalsozialismus primär als Selektionsapparat im Rahmen einer menschenverachtenden Biopolitik, die die Tradition sozialmedizinischer Prinzipien und einer am Wohl des Einzelnen, insbesondere benachteiligter Bevölkerungsgruppen, orientierten Gesundheitsfürsorge und -vorsorge nachhaltig vernichtete. In den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Bundesrepublik war es offenbar den damals tonangebenden Amtsärzten im ÖGD nicht möglich, über diese Tatsache öffentlich zu reflektieren. Das Vereinheitlichungsgesetz von 1934 mit seinen drei Durchführungsverordnungen wirkte auch ohne die nach dem Kriegsende entfernte nationalsozialistische „Erb- und Rassenpflege“ nicht nur als Organisationsrahmen, sondern auch inhaltlich prägend auf Strukturen und Aufgabenfelder des ÖGD der Bundesrepublik Deutschland bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.
Amtsarzt Dr. Johannes Donhauser fand vor Jahren im Keller des Gesundheitsamtes im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen alte Patientenunterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Amtsärztliche, sog. „erbbiologische“ Gutachten, und daraus resultierende Anträge des damaligen Amtsarztes auf „Unfruchtbarmachung" der meist als „schwachsinnig" bezeichneten Menschen beim „Erbgesundheitsgericht" in Eichstätt regten Donhauser zu einer Dokumentation an, die in den Jahren 2004 bis 2006 entstand und 2007 als 130 Seiten starkes Sonderheft der Fachzeitschrift „Das Gesundheitswesen" im Georg-Thieme-Verlag erschien. (Download siehe unten)
Die Studie beleuchtet die Selektionstätigkeit von Amtsärzten im „Dritten Reich", vor allem anhand von Archivmaterial aus den ehemaligen Gesundheitsämtern Neuburg, Schrobenhausen, Eichstätt, Pfaffenhofen, Augsburg, Kaufbeuren, Wertingen und Donauwörth.
Staatliche Gesundheitsämter in Deutschland gehen auf die Gründung zum 01. April 1935 durch das nationalsozialistische „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesen" vom 01. Juli 1934 zurück. Erst im August 2006 wurde dieses Gesetz vom Deutschen Bundestag als Bundesrecht aufgehoben, in Hessen war es bis September 2007 noch als Landesrecht gültig, in Österreich gilt es nach wie vor.
Donhausers Studie stellt die bisher einzige aus den Reihen des öffentlichen Gesundheitsdienstes heraus verfasste Monographie zum Thema dar.
Sie macht deutlich, dass die in der NS-Zeit neu gegründeten Gesundheitsämter bis 1945 gleichsam den bürokratischen Motor in der Umsetzung der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenpflege" darstellten. Die Ämter waren Ermittlungs- und Vollzugsbehörde im Vollzug des Zwangssterilisierungsgesetzes vom 14. Juli 1933. Die Amtsärzte selektierten die damalige Bevölkerung nach „wertvoll" und „wertlos" bzw. „gefährlich“ für den „Volkskörper" - und waren noch bei der bürokratischen Zuarbeit zum Massenmord an chronisch kranken und behinderten Kindern und Jugendlichen beteiligt, wie der Schriftverkehr zwischen damaligem Reichsinnenministerium und den Staatl. Gesundheitsämtern aus dem ehemaligen Gesundheitsamt Schrobenhausen belegt. Denn ohne Einweisung eines Kindes in eine "Kinderfachabteilung", wie sich die Mordstationen im Nazijargon nannten, gelangte in der Regel kein Kind in die Tötungseinrichtungen. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten äußerten sich führende Ärzte des ÖGD nahezu ausnahmslos apologetisch und behaupteten, die Einrichtung staatlicher Gesundheitsämter sei allein eine Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung gewesen und die Gesundheitsämter seien nie in die verbrecherischen Maßnahmen des NS-Regimes mit einbezogen worden.
Neuere Studien legen indes offen, dass sich die nationalsozialistischen Amtsärzte über die im Vereinheitlichungsgesetz normierten Dienstaufgaben hinaus auch im Rahmen der Menschen verachtenden „Volkstumspolitik" in den besetzten Gebieten Osteuropas engagierten. Neu errichtete Gesundheitsämter im „Warthegau" (Westpolen) und im „Generalgouvernement" waren ein Exerzierfeld für Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, wo sie bar jeglicher normativen Grenzziehung ihre Programme zur Menschenvernichtung unter dem Deckmantel seuchenpolizeilicher Maßnahmen umsetzen konnten.
2013
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) hat deshalb eine Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des ÖGD gegründet, als deren Sprecher Donhauser fungiert. Sie entwickelte ein entsprechendes medizinhistorisches Projekt. Dessen engem Finanzrahmen geschuldet sind folgende Einschränkungen:
Zum einen erfolgt geographisch eine Begrenzung auf zwei ehemalige Länder des Deutschen Reiches und zum anderen zeitlich auf die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945.
Zumindest mittelfristig wird keine Gesamtdarstellung der Rolle des ÖGD im Nationalsozialismus mit seinen inhaltlichen Wurzeln und seinen Fernwirkungen auf das Gesundheitswesen der Bundesrepublik erarbeitet werden können, da die Quellenlage zum jetzigen Zeitpunkt zu disparat ist und das Bundesministerium des Innern, zu dessen Zuständigkeit von 1949 bis 1961 das Gesundheitsressort auf Bundesebene zählte bis ein eigenes Bundesministerium für Gesundheit entstand, einer Projektfinanzierung zur Erforschung dieser Phase des bundesrepublikanischen ÖGD derzeit nicht näher treten möchte.
Das vom BVÖGD initiierte medizinhistorische Projekt soll die Rolle des ÖGD im Nationalsozialismus, zumindest etwas weiter als bisher geschehen, erhellen. Das Institut für Geschichte der Medizin der Charité in Berlin, vertreten durch Prof. Dr. Sabine Schleiermacher, wurde nach einer beschränkten Ausschreibung mit der Umsetzung des Forschungsprojektes beauftragt.
2015
Im Januar 2015 begann die konkrete Projektarbeit.
Die Forschungen konzentrieren sich auf die beiden damaligen Länder Thüringen und Württemberg. In diesen beiden Regionen soll das Wirken der einzelnen administrativen Strukturen in der damaligen Gesundheitsverwaltung herausgearbeitet werden. Das Augenmerk gilt dabei insbesondere der konkreten Umsetzung der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenpflege“ in der unteren Verwaltungsebene, den neu gegründeten Gesundheitsämtern unter staatlicher Kontrolle.
Finanziert wird die Studie durch Fördermittel des Bundesministeriums für Gesundheit, des Landes Baden-Württemberg und aus Mitteln des BVÖGD. Thüringen hat sich einer Mitfinanzierung leider verschlossen.
Gleichsam als Auftakt zum skizzierten Projekt organisierte die Arbeitsgruppe eine Vorkonferenz zum 63. Wissenschaftlichen Kongress des BVÖGD am 24. April 2013 in Berlin. Dieses Symposium war dem eigentlichen Bundeskongress vorgeschaltet und zeitigte neben hohem Besucherinteresse auch eine positive Resonanz im Deutschen Ärzteblatt (siehe Link unten).
Die beiden auf der Vorkonferenz gehaltenen Vorträge von Johannes Vossen und Johannes Donhauser sowie der dazu einführende Artikel aus der Fachzeitschrift „Das Gesundheitswesen“ stehen hier als download zur Verfügung.
2017
Auf dem Kongress „Gesundheit für Alle“ der als 7. LGL-Kongress für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, als 67. Wissenschaftlicher Kongress des BVÖGD und des BZÖG, sowie als 9. Jahrestagung der GHUP vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), dem Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), des Bundesverbandes der Zahnärzte im ÖGD (BZÖG) und der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP) gemeinsam vom 3. Bis 5. Mai 2017 in München veranstaltet wurde, stellten Sabine Schleiermacher und Sven Kinas vom Institut für Geschichte der Medizin der Charité, Berlin, die Ergebnisse des Forschungsprojektes vor.
Tags zuvor fand ein Preconference-Workshop in den Räumen des Referats für Gesundheit und Umwelt (RGU) München, zum Thema „Die nationalsozialistische "Erb- und Rassenpflege" Bayerischer Gesundheitsämter und deren Opfer“ statt, den Amtsarzt Dr. Johannes Donhauser organisiert hatte.
Veranstaltungsflyer für den Preconference-Worshop und Info-Flyer der Charité zum Forschungsprojekt als download: (siehe unten)
2018
Im März 2018 erschien, verlegt von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und herausgegeben von Prof. Robert Loddenkemper, der Sammelband „Die Lungenheilkunde im Nationalsozialismus“. Das Kapitel „Die Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“ hat Dr. Johannes Donhauser verfasst (siehe Link unten zum download des Kapitels)
Auf dem diesjährigen Bundeskongress des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD) in Osnabrück erhielt Dr. Johannes Donhauser als Würdigung für sein jahrzehntelanges Engagement, die unselige Zeit der Gesundheitsämter im Nationalsozialismus dem Vergessen zu entreißen, die Johann-Peter-Frank-Medaille verliehen. Sie stellt die höchste Auszeichnung des BVÖGD dar.
Die Laudatio und die Preisträgerrede zur Medaillenverleihung finden Sie unten im Downloadbereich
Weitere Veröffentlichungen
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